Der Kern der Sache
Wie war es Kinder zu bekommen? Das fragt mich eine junge, beeindruckende, kinderlose Kollegin, die ich für meine Studie interviewt habe. Wir sitzen im hoteleigenen Restaurant. Ein witziger Zufall hat uns hierher gebracht. Am Vormittag hatte ich sie noch im Unterricht begleitet und war schwer beeindruckt. Gänsehaut hatte ich dabei und im anschließenden Interview hat sie so wahnsinnig tolle Sachen gesagt. Sie ist 29, ich 41. Auf ihre Frage mit den Kindern antworte ich ausweichend… Ja, sage ich. Das Kinder bekommen sei magisch und wundervoll und tatsächlich, wenn es nur um die reine Geburt, um das „auf die Welt bringen“ ginge, dann würde ich noch 100 Kinder bekommen, sage ich. Aber offenbar habe ich nur einen Teil ihrer Frage beantwortet. Das Kinder haben auch? – lautet ihre Nachfrage. Ich ziehe etwas nach Luft, und fühle in mich hinein. Ist es auch ein Wunder, die vielen schlaflosen Nächte zu überstehen, die vielen emotional wehrlosen Momente, in denen man begreift, dass bei aller Nähe, man akzeptieren muss, nicht alle Probleme des Kindes lösen zu können, nicht alles richtig machen zu können, nicht immer die Kraft zu haben, so zu sein, wie man sein möchte, wie es die eigenen Vorstellungen versuchen vorzugeben? Überhaupt zu akzeptieren, dass die Strategien, die man bisher kannte und konnte, nicht mehr greifen? Dass sie stellenweise wie ein Boomerang wirken: ich bin mit einer motzigen Antwort und meiner genervten Haltung das ungehaltene Kind erstmal los, aber auf mich kommt der Boomerang der Enttäuschung über mich selbst zurück. Der Schmerz es wieder einmal nicht geschafft zu haben, so zu sein, wie ich gerne wäre.
Dieser ewige Graben zwischen Wunsch und Realität hat mich hinunter gezogen, viele Tage und dann Monate. Am Ende waren es vielleicht Jahre. Erzählt hab ich davon lange niemanden etwas. Denn das hätte überhaupt nicht zu meinen Selbstbild gepasst. Ich schaffe doch alles, ich habe es doch genau so gewollt, ich werde doch jetzt sicherlich nicht rumheulen und zusammenbrechen. Oder…?
Wie Partikel schweben diese Gedankenfetzen um mich herum, während mein Gegenüber auf ihre Antwort wartet. Und wie in der Realität werden diese erst sichtbar in den Strahlen des Gegenlichts. Dieses Licht kommt aus meinem Herzen, dass geöffnet wurde, das in den alten Strategien stets verschlossen war. Das Licht kommt direkt aus meinem Herzen und macht die schmerzhaften Momente erst sichtbar. Es gibt nicht dass eine, ohne das andere. Peter Hoeg hat mal zu mir gesagt, es sei gefährlich sein Herz zu öffnen, aber es sei absolut kompromisslos.
All diese Gedanken durchlaufen mich in 2 Sekunden, ich blicke in die ehrlichen, intelligenten und neugierigen Augen der jungen Frau mir gegenüber. Eine geschönte Antwort hat sie nicht verdient und erkennen würde sie sie ohnehin im Nu. Und ich habe es auch nicht verdient weniger zu sprechen, als meine Wahrheit.
Nein sag ich, das ist kein Wunder, das ist ein Weg ins Ungewisse und für mich war dieser Weg ganz oft ganz schön dunkel. Sie nickt, gibt mir einen Moment Zeit und damit auch Raum für den nächsten Satz. Ich habe sehr viel gelernt über mich seit ich Kinder habe. Das meiste habe ich mir nicht ausgesucht, das meiste war weit außerhalb meiner Komfortzone und schmerzhaft. Es gab einen ständigen Graben zwischen Wunsch und Realität, den ich nicht überwinden konnte, weil das bedeutet hätte auf mich zu schauen. Nur eine Sache war noch größer als dieser Schmerz: der Wunsch eine aufrichtige Beziehung zu meinen Kindern zu führen. Das hätte mit meinen alten Strategien nie geschafft. Das ist kein Wunder sage ich, dass hat nichts Magisches, das ist, im Kern der Sache einfach viel Schweiß, Blut und Tränen.
Sie lächelt und ich fühle mich verstanden.