Doktorarbeit,  Team Wissen

5 Dinge, die die meisten Lehrkräfte nicht über ihren Beruf wissen

Bist du Lehrkraft und fühlst dich oft ausgeliefert? Überfordert? Hin- und hergerissen? Fehl am Platz? Vielleicht hast du manchmal das Gefühl, der Beruf des Lehrers/ der Lehrerin ist u n m ö g l i c h zu bewältigen?

Jaaaa? Dann lies bitte weiter, ich hab was richtig Wichtiges für dich.

Da sind sie wieder: meine geliebten Antinomien

Ach herrje, ich habe darüber schon mal geschrieben (nämlich hier). Und ich fürchte auf diesem Blog hier, werde ich noch öfter darüber schreiben: Antinomien in der Schule. Ganz simple Widersprüche, die meiner Meinung nach alle LehrerInnen kennen sollten (die wenigsten es aber tun!).

Es klingt wie common sense, ist es aber nicht

Die Schule ist voll mit Widersprüchen und schon der gute Siegmund Freud sagte, der Beruf des Lehrers sei seiner Meinung nach ein unmöglicher Beruf. Und zwar nicht so im Sinne einer schlechten Studienberatung „Machen sie nicht Lehramt, das machen alle!“, sondern eher so im Sinne von „Das, was da geleistet werden muss, kriegt kein Mensch unter einen Hut!“.

Und eigentlich, kann einem auch gleich beim Lesen der Gedanke kommen „Ja Mensch, das ist doch klar!“. Ist es aber nicht. Wirklich nicht. Mir wurde das erst nach 5 Jahren Studium, 18 Monaten Referendariat und über 10 Jahren Berufserfahrung klar.

Schauen wir uns die Antinomien in Schule doch mal an.

Here we go: meine TOP 5 Antinomien

Platz 5: Organisation vs. Interaktion

Das meint; auf der einen Seite sind Lehrkräfte administrativen Zwängen ausgesetzt: Geht bei der Zusammenstellung der Schüler los, über Stundenplan, Klassengröße bis zum Lehrplan. ABER es soll bitte schön auch eine stimmige, pädagogisch wertvolle Interaktion stattfinden……Hmmmmm, nicht so einfach, aber geht noch. Schauen wir mal weiter auf Platz 4:

Platz 4: Einheitlichkeit vs. Differenz

Ok, wir legen einen Zahn zu, langsam wird es unangenehmer für die Lehrer: Einheitlichkeit meint, wir behandeln formal alle schön gleich (natürlich, wir sind doch Lehrer, das müssen wir können!). Aber andererseits ist es genauso selbstverständlich, dass wir Rücksicht nehmen auf die individuellen Lagen unserer SchülerInnen. Das ist doch klar; jeder wird so behandelt, wie es am besten für ihn/sie ist…..Häh?? Langsam stutzig geworden wie das gehen soll? Come on, pippifatz, schauen wir mal Platz 3 an:

Platz 3: Person des 

Schülers/der Schülerin vs. Anspruch der Lern-Sachen

Schon wieder macht der/die SchülerIn Probleme (kennt man ja!), also:

S e l b s t r e d e n d haben wir Lehrkräfte die individuellen Besonderheiten unserer Schützlinge im Blick. Wir nehmen immer Rücksicht auf individuelle Begabungen, Interessen, unterschiedliche Lerntempi- und kanäle, und und und…..

ABER die lernen bei uns alle genau das gleiche Zeug.

Das, was im Curriculum steht natürlich, und das in einer fest vorgeschriebenen Zeitspanne. Klar! Das muss durch bis zum Schuljahresende. Kein Problem….oder doch?

Ist das vielleicht ein bisschen viel verlangt? Ich mein…naja, gut, lassen wir das offen und gucken wir zu TOP 2:

Platz 2: Nähe vs. Distanz zum Schüler

Oh man, nichts für ungut. Aber spätestens ab hier komm ich in aller Regel vor Lachen nicht mehr in den Schlaf. Das ist wirklich knusprig:

Natürlich bauen wir Nähe zu unseren SchülerInnen auf, wir begegnen uns als ganze Personen auf einer absolut wertfreien Ebene.

So von Mensch zu Mensch…bis….ja bis, also bis wir eben den SchülerInnen bewerten müssen/sollen/dürfen….also eigentlich jeden Tag.

(Das ist auch wichtig, damit man professionell da steht und auch nicht verklagt werden kann oder unangenehme Diskussionen mit Eltern führen muss und so weiter.)

Hausaufgaben gemacht oder vergessen? Heftführung ok, oder nicht? Was macht eigentlich die mündliche Mitarbeit und die Lernstandskontrolle? Welches Kompetenzkästchen kreuz ich denn mal an, wenn ich den Max so als ganzen Menschen betrachte? 

You are getting the point, aren’t you?….

Platz 1: Autonomie vs. Heteronomie

Das ist mein unangefochtener Antinomien – Favorit. Der ist wirklich zu recht ganz oben.

Denn unser pädagogisches Streben zielt n a t ü r l i c h  darauf ab unsere SchülerInnen zu autonomen, selbstbestimmten Persönlichkeiten heranzubilden.

Und als Geling-Garantie verwenden wir dabei jeden Tag den „Pflich-Apparat“ Schule mit all seinen Hierachien, Regeln, Befugnissen….und so.

Das nennt man nicht nur Antinomie. Das nennt man Grundparadoxie pädagogischer Ambitionen.

Warum erzähle ich das und was hat das mit den oben angesprochen Gefühlen von Zerrissenheit zu tun?

Vieles, sehr vieles meiner Meinung nach.

Es geht darum zu verstehen, dass der Beruf einer Lehrkraft in sich, strukturell bedingt, mit zahlreichen Widersprüchen belegt ist.

Und jetzt kommt das wirklich Wichtige:

Diese Widersprüche KÖNNEN NICHT von der Lehrkraft individuell gelöst werden.

ES IST UNMÖGLICH.

Jeder Versuch einer einzelnen Lehrkraft das zu tun, verschwendet unglaublich viel persönliche Energie, Motivation und Freude. Wenn du nicht Herr oder Frau Sisyphos sein möchtest, dann höre sofort auf damit!

Häufig erleben Lehrkräfte die ganz oben beschrieben Emotionen…und fühlen sich dann eben schlecht, werden müde von der vielen Anstrengung und haben am Ende das Gefühl von Sinnlosigkeit.

Du fragst dich, was du dann tun sollst?

  • Nichts, erstmal nichts.

Die meisten LehrerInnen sind furchtbar hilfsbereit, bemüht und ständig bereit etwas besser zu machen.

Aber das ist nicht immer nötig, nicht immer richtig und nicht immer sinnvoll.

Im Fall der Antinomien mache ich die Erfahrung, dass es einfach hilft zu wissen,

  • dass es sie gibt
  • dass sie zu Schule strukturell bedingt (noch) dazu gehören
  • dass sie auf Ebene der Lehrkräfte nicht lösbar sind
  • dass es normal ist, sich so zu fühlen, wenn man immer zwischen den Stühlen hängt
  • dass man sich diese Emotionen aber „schenken“ kann, es ist (ausnahmsweise) mal keine Handlungsaufforderung an Lehrkräfte

Und jetzt: Go - hug yourself!

Grundidee entnommen aus: Terhart, Ewald: Lehrerberuf und Professionalität. Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen. S.202-224 Pädagogische Professionalität (2011). Zeitschrift für Pädagogik, Beiheft; 57

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