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Ist Corona männlich? Mein Blick auf alte Strukturen und neue Hoffnungen

„Zurück zu zur Normalität.“ höre ich immer wieder, das „alte Leben zurück“, das sei alles was man/frau so wolle. Und ich frage mich: Zurück zu welcher Normalität bitteschön? Ich möchte in diesem Artikel gerne mal die Sicht auf die Pandemie eröffnen unter dem Aspekt, was wir als Gesellschaft als „normal“ ansehen und ich möchte die Frage aufwerfen, ob – ebenfalls als Gesellschaft – wir wirklich in genau diese Normalität zurück möchten. Und ohne diesem Artikel schon gleich zu Beginn seinen Spannungsbogen zu rauben, kann ich doch an dieser Stelle spoilern; Nein, für mich gilt das nicht. Ich möchte nicht zurück in die alte Normalität, ich möchte in eine neue Normalität und wenn wir das jetzt nicht gebacken kriegen, dann frage ich mich: Wann dann?

Neue oder alte Ungerechtigkeiten?

Der Virus schafft keine neuen Ungerechtigkeiten, sondern vielmehr sattelt er auf bestehende und historisch gewachsene Ungerechtigkeiten auf, die wir wohl bis hierhin nur vermeintlich im Griff zu haben schienen. Mehrheitlich haben Mütter die Pflichten des Homeschoolings bewältigt. Das war durchaus keine freiwillige Entscheidung, sondern ein Ergebnis davon, dass die Strukturen immer noch nicht darauf ausgerichtet sind, dass Väter die Fürsorge- und Hausarbeiten übernehmen (können). Es ist immer noch so, dass das Gros der unbezahlten Tätigkeiten im Care-Bereich auf den Seiten der Mütter liegt. 

Reprofessionalisierung oder Deprofessionalisierung

In diesem Zusammenhang darf dann auch gefragt werden, ob der Beruf der Lehrkraft nun durch die Krise eher auf- oder eher abgewertet wurde. Ein ehrliches „Es kommt drauf an!“ ist hier wohl die passende Antwort. Für die Personengruppe, die sich dem Homeschooling der eigenen Kinder (rechtlich gesehen ist übrigens der Begriff des Distanzlernens richtig) angenommen hat, erfährt die Berufsgruppe der Lehrkräfte wohl eher eine Aufwertung im Sinne einer Reprofessionalisierung. Denn an dieser Stelle wird schnell klar: einfach geht anders. Und nur weil es jetzt gerade jede/r macht, heißt das noch lange nicht, dass es jede/r kann. 

Die Katze beißt sich eben da in den Schwanz, wo  Menschen Homeschooling und die Professionalität der Lehrkräfte beurteilen, ohne eigene Erfahrung verzeichnen zu können oder wenigstens ausreichende empathische Vorstellungskraft für diese Aufgabe mitbringen. Da sind wir dann schnell im männlichen Sektor und damit dann auch (leider) schnell im wirtschaftlichen/politischen Sektor. Stichwort historisch gewachsene Strukturen. 

Geld als Lösung als Teil männlicher Logik?

Und da darf man nun auch mal aus Sicht der Schulen folgende Fragen aufwerfen: Geld als Lösung, in einem Digitalpakt, der teilweise immer noch nicht ausgezahlt wurde und mit dem erhebliche bürokratische Hürden verbunden sind, ist das wirklich eine Lösung? Wenn es nicht so traurig wäre, dann würde ich jetzt lachen. Ich finde das so dermaßen weit weg von dem Kern der Problematik, dass mir keine anderthalb Zeilen später als gerade eben noch, schon wieder zum Heulen zu Mute ist. Tablets lösen dieses gesamtgesellschaftliche (!) Problem NULL. Tablets sorgen auch nicht dafür, dass die Schere der Bildungsungerechtigkeit, die in diesem Land immer noch von der Hand der Herkunft geführt wird, weniger auseinander fällt. Ich kann mich nur wundern, wie sehr hier in Normativen gedacht wird. 

DIVERS schreiben und NORMATIV meinen

Ja, für den Wahlkampf und andere Bereich im Feld von „Publicity“ ist es furchtbar wichtig, dass man auf den Aspekt der Diversität hinweist. Damit ist dann nicht nur geschlechtliche Diversität gemeint, nein, in unserer Gesellschaft sollen ja auch alle die Platz haben, die nicht „normal“ oder „elitär“ sind, also Menschen aus bildungsfernen Haushalten mit ihren Kindern, Kinder und ihre Familien mit Migrationshintergrund und natürlich auch Menschen mit Einschränkungen in Bereich von Geist oder Körper. Toll, klingt super. Aber pssst…mal ganz nah hier rangerutscht…ich verrate jetzt ein Geheimnis: Denen bringen diese Tablets nichts. Gar nichts. Null.

Warum wird in einem Bereich, der sich seit Jahrzehnten tot spart plötzlich soviel Geld für ein minikleines zu vernachlässigendes Teilproblem locker gemacht?

Weil hier eine männliche Denkweise am Drücker ist. Das ist meine Antwort. Weil es so schön wäre, und großzügig, das löst das Problem schon. Technik geht doch immer. Superwichtig.

Zurück zu welcher Normalität also dann?

Es wird Zeit, Strukturen zu schaffen, die einen solchen Rückfall in die alten Strukturen, eine Retraditionalisierung, in Zukunft verhindern. Dazu brauchen wir, ich wiederhole mich, keine Tablets.

Wir brauchen (im Bereich der Schule) gut ausgebildete LehrerInnen. Wir brauchen endlich ein pädagogisches Professionalisierungskonzept, dass die emotionale Seite der LehrerInnentätigkeit als Aspekt von Professionalität inkludiert. Wir brauchen mehr Alltagsväter (immer noch!), wir brauchen auch mehr Frauen, die das einfordern. Wir brauchen endlich eine Aufwertung der Berufe in der Kleinkindbetreuung.

Warum sprechen alle in der Krise von Schule und keiner von Kindergärten?

Zwar werden diese beiden Institutionen oft in einem Atemzug genannt, aber im zweiten Atemzug geht es schon nur noch um die Schulen. Der Beruf der ErzieherInnen muss in meinen Augen dringend aufgewertet werden. Auch finanziell. Da wäre das Geld mal richtig angelegt. Damit dieser Bereich attraktiver wird (auch für Männer) als Arbeitsfeld.

Und wir brauchen (in der Gesellschaft) mehr Vertrauen auf die weibliche Art und Weise zu führen und Probleme zu lösen. Wir brauchen flacherer Hierachien, die den vielen Menschen in diesem Land die Chance geben gehört zu werden. Wir brauchen eine richtig gute Kleinkindbetreuung und wir brauchen leichtere Wege in Voll- und Teilzeit und zurück.

Und wir alle brauchen unsere Räume zurück. Unsere Büros, unsere Freizeiteinrichtungen. Damit dieses entgrenzte, übergriffige Leben endlich endet. Damit mein Privatraum mein Privatraum bleibt und ihn nicht preisgeben muss, um an Gesellschaft teilhaben zu können.

Sehr sicher brauchen wir noch viel mehr

Aber mir würde das fürs Erste reichen.

 

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